Die Linkspartei kämpft mit schwachen Umfragewerten und sinkenden Zustimmungswerten bei den Stammwählern. Außerdem repräsentiert die beliebteste Persönlichkeit der Partei nicht die Parteilinie. Der Streit könnte sogar den Caucus brechen. Von Kerstin Palzer, ARD-Hauptstadtstudio

Schon vor einer Woche war klar, dass die Rede von Sahra Wagenknecht in der Haushaltsdebatte im Bundestag für Aufsehen sorgen wird. Wagenknecht neigt nicht dazu, ihre Überzeugungen für sich zu behalten. Er sagt, was er denkt, und er tut es laut und schüchtern. Das könnte für die kleinere Bundestagsfraktion gut sein, ist aber tatsächlich ein großes Problem. Denn der Abgeordnete, der der Öffentlichkeit am meisten zuhört, vertritt eine Sichtweise, die manchem Fraktionskollegen mittlerweile unverschämt vorkommt. Logo MDR Kerstin Palzer ARD-Hauptstadtstudio Dieser Streit war bereits letzte Woche Thema beim Caucus-Treffen. Es soll umstritten gewesen sein, weil mehrere Abgeordnete misstrauisch wurden, als sie die Verurteilungen von Wagenknecht betrachteten, der bereits im Vorfeld von einem “westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland” geschrieben hatte.

Und es ist kein Geheimnis, dass Fraktionschef Dietmar Bartsch erneut mit Wagenknecht gesprochen hat. Sein wichtigstes Ziel: Wagenknecht soll ihre Meinung zu Nord Stream 2 nicht im Parlament erläutern. Dies würde der Ansicht der Partei völlig widersprechen.

Wagenknechts umstrittene Nähe zu Russland

Kurz zusammengefasst: Die Linkspartei hat sich für Sanktionen gegen die russische Wirtschaft ausgesprochen, Wagenknecht dagegen. Die Linkspartei verurteilt Russlands Krieg gegen die Ukraine scharf, Wagenknecht spricht von einem Wirtschaftskrieg gegen Russland. Die Linkspartei ist gegen die Inbetriebnahme von Nord Stream 2, Wagenknecht dafür.

Das Thema Nord Stream 2 wird in der Bundestagsfraktion bereits hinter verschlossenen Türen als unausgesprochenes „NS-Wort“ bezeichnet, weil es in der Partei so spaltet.

Wut und Beifall bei der AfD

Am Vorabend von Wagenknechts Rede im Bundestag ist auch klar, dass mehrere Abgeordnete nicht dabei sein werden, während Wagenknecht spricht. „Ich habe jetzt wahrscheinlich ein Date oder ich sollte mir etwas zu essen holen“, hörst du. Der Ärger darüber, dass der Fraktionsvorsitzende Wagenknecht als Sprecher vorgeschlagen hat, ist groß. Bei Ralf Lenkert, dem politischen Vertreter der Fraktion für Umweltpolitik und Energie- und Klimaschutz, ist es so toll, dass er von diesem Amt zurücktritt.

Ein großer Teil des linken Flügels, der 39 Abgeordnete hat, ist eigentlich nicht dabei, wenn die sogenannte Parteiikone vor dem Bundestag spricht. Aber als Wagenknecht vor dem Parlament genau das sagte, was sie zuvor in Zeitungsartikeln gesagt, was sie getwittert und was sie auf ihrem YouTube-Kanal gesagt hatte, applaudierten die Fraktionsvorsitzenden Bartsch und Amira Mohamed Ali deutlich, während die anderen Fraktionen sie drückten ihre Wut lautstark die Worte Wagenknechts aus. Zu beachten ist allerdings der Beifall der AfD-Fraktion für Wagenknecht.

Starke Distanzen

Die Kongressabgeordnete Martina Renner twitterte nach der Rede: “Der Satz: ‘US-Wirtschaftskrieg gegen Russland’ ist Kreml-Propaganda.” Ihre Kollegin Caren Lay schreibt: „Von einem ‚Wirtschaftskrieg gegen Russland‘ zu sprechen, verzerrt die Tatsachen. Die Aufhebung aller Sanktionen zu fordern, ist nicht unsere Position!“

Und Kathryn Vogler schreibt: „Putin hat Deutschland ein Gasembargo auferlegt, nicht umgekehrt. Als gesellschaftliche Opposition müssen Sie sich darüber im Klaren sein“, wendet sie sich an ihre eigene Fraktion. Anfang August twitterte die Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring: „Sahra Wagenknecht. Sie sind nur formal meine Parteikollegin.“

Aufgeladene Atmosphäre an Bord

Ähnlich gespannt war die Stimmung des Parteivorstands, der am vergangenen Wochenende in Rathenow tagte. Die meisten Mitglieder dieses Gremiums stimmen Wagenknecht nicht zu. Die beiden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan distanzieren sich klar von Wagenknechts Positionen. Und immer wieder höre man, „dass die Fraktionsführung endlich Sahara einholen muss“.

Aber darin liegt das Problem. Wagenknecht ist nicht nur eine der prominentesten linken Stimmen in der Öffentlichkeit. Sie ist nicht allein in der Gruppe. So leidenschaftlich sich einige der Abgeordneten von ihr distanzieren, andere stehen ihr zur Seite. Und sie fühlen sich in ihrem Team nicht mehr besonders wertgeschätzt.

Infolgedessen könnten acht bis neun Abgeordnete beschließen, die Fraktion zu verlassen und eine neue Fraktion im Bundestag zu bilden. Mindestens zehn Mitglieder der Fraktion haben den Aufruf für eine populäre Linke unterzeichnet, den Wagenknecht im Mai dieses Jahres mit auf den Weg gebracht hat. Das wäre das Aus für die Linksfraktion. Selbst wenn drei Abgeordnete ausscheiden, würde der Caucus seinen Status verlieren und nur noch eine Fraktion im Bundestag sein, was weniger Rechte und weniger Geld bedeutet.

Kampf um die “Abtrünnigen”

Es ist also der immer verzweifeltere Versuch der Fraktionsführung, diese potentiellen „Abtrünnigen“ in der Fraktion zu halten. Deshalb hat sich Bartsch entschieden, Wagenknecht die begehrte Redezeit im Bundestag zu geben, weshalb er Klaus Ernst den…