Karl Lauterbach startete als einer der beliebtesten Ampelminister und kämpfte dann zwischen FDP und Corona-Regeln. Jetzt will er die Digitalisierung vorantreiben – mit neuen Impulsen aus Israel. Von Barbara Kostolnik und Oliver Sallet, ARD-Hauptstadtstudio, derzeit Tel Aviv
Der Bundesgesundheitsminister ist in seinem Element: Auf 11.500 Metern Höhe, irgendwo über den griechischen Inseln, erzählt uns Karl Lauterbach im Airbus A340 „Konrad Adenauer“, wie sehr er sich auf die vielen spannenden Begegnungen in Israel freut und das Diese Reise hat eine lange Geschichte. BR-Logo Barbara Kostolnik ARD-Hauptstadtstudio HR-Logo Oliver Sallet ARD-Hauptstadtstudio Im September 2021 – damals war Karl Lauterbach ein weithin angesehener Gesundheitsexperte – wurde er vom israelischen Gesundheitsminister eingeladen. Auch wenn Lauterbach nicht Gesundheitsminister geworden wäre: “Ich wäre auf jeden Fall geflogen, nur nicht in diesem Regierungsflugzeug”, scherzt er gegenüber den mitreisenden Journalisten, die wie er ausnahmslos alle Masken tragen.
Gemischte politische Bilanz
Zuhause in Deutschland lief es in letzter Zeit eher durchschnittlich. Das neue Infektionsschutzgesetz wurde vom Bundestag verabschiedet, die FDP musste aber Zugeständnisse an Lauterbach machen, was zu einem Flickenteppich führte. In Fernverkehrszügen bleibt die Mund-Nasen-Schutz-Pflicht ab Oktober bestehen, in Nahverkehrszügen entscheiden die Bundesländer, in Flugzeugen fällt die Maskenpflicht jedoch weg.
Immerhin – Lauterbach konnte die Maskenpflicht in Apotheken noch durchsetzen. Das sorgt in Teilen der Bevölkerung für Verwirrung und regelrechten Hass. Die Wut ist dem Gesundheitsminister jeden Tag aufs Neue zu spüren, von Anfeindungen auf Twitter – „Sie halten uns für unglaublich dumm“ – bis hin zu Demonstrationen direkt vor seinem Bürofenster.
Lauterbach hat einen erstaunlichen Wandel von einem der beliebtesten Politiker Deutschlands, der in Talkshows das Coronavirus fachmännisch erklärte und von vielen als begehrter Gesundheitsminister galt, zu einem der bedrohtesten Politiker des Landes vollzogen.
Abschied vom “Coronavirus-Minister”?
Auch deshalb will Lauterbach aus dem Corona-Minister-Image raus, denn es gibt Projekte, mit denen er glaubt, mehr verdienen zu können. Das E-Rezept hat sie bereits gestartet, das Prestigeprojekt ist die elektronische Patientenakte, in der digitale Daten von Millionen Patienten gespeichert sind und später auch für Forschungszwecke ausgewertet werden können.
“Deutschland kann hier noch viel von Israel lernen”, sagt Lauterbach mit Bewunderung. In Deutschland haben neben dem Bundesdatenschutzbeauftragten auch 18 Landesdatenschutzbeauftragte ein Mitspracherecht bei der Datenübermittlung. Es gibt große Bedenken, die medizinischen Daten von Millionen Deutschen digital zu speichern und auszuwerten.
Lob für den israelischen Weg
In Israel sind die Hürden nicht so hoch – das ist einer der Gründe, warum das Land Deutschland in Sachen Digitalisierung voraus ist. Auch deshalb scheint Lauterbach die Fahrt in vollen Zügen zu genießen. “Ich bin aufgeregt”, strahlt Karl Lauterbach im Jerusalemer Plenarsaal des israelischen Parlaments, der Knesset. Das hört sein Nachbar, Israels Gesundheitsminister Nitzan Horowitz, gerne. Begeistert lobt Lauterbach die Erfolge Israels bei der Bekämpfung der Pandemie und die enge Zusammenarbeit mit Deutschland.
Besonders aufgeregt wird der Minister, als er das Thema des Programms erwähnt, das ihn am meisten zu reizen scheint: ein Besuch im berühmten Weizmann-Institut, wo er mehr über Künstliche Intelligenz erfahren möchte. Dann bricht der Wissenschaftler Lauterbach aus dem Gesundheitsminister aus.
Sie wünschte, sie wäre länger geblieben, sagt sie. Das wiederum bringt ihm sofort eine weitere Einladung von Horowitz ein. Und Lauterbach besteht auf dem Protokoll, dass er zurückkehren muss.
In der Gedenkstätte Yad Vashem betonte Lauterbach, wie ihn das Lernen über den Holocaust geprägt habe. Bild: dpa
Nachdenkliche Worte in Yad Vashem
Besucht man die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, ein Muss für politische Besucher aus Deutschland, erlebt man einen verschlossenen, nachdenklichen Minister. Lauterbach, der als Bundesgesundheitsminister einer der bedrohtesten Politiker Deutschlands ist, schreibt in das Gästebuch der Gedenkstätte: Das Lernen über den Holocaust hat meine Sicht auf die Menschheit und auch auf mein Land geprägt. Für mich war und ist es das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Keine Krise, keine Pandemie, kein Krieg kann für Antisemitismus und alten Groll missbraucht werden. Nicht Angst oder Begrenzung, sondern Menschlichkeit und Wissenschaft halten die Antworten auf die Fragen der Gegenwart bereit. Ich gedenke aller Opfer des Holocaust und ihrer Familien, und um ihretwillen werde ich nicht aufhören, mich gegen all jene auszusprechen, die durch Hass und Verleumdung Zwietracht und Gewalt gegen das Volk Israel säen.
Später am Tag, als er bei einem Runden Tisch mit Experten des israelischen Gesundheitssystems erneut über die Pandemie diskutierte, fragte Lauterbach sein Gegenüber, wie sie mit Fake News in Bezug auf die Pandemie umgehen. Statt einer Antwort gibt es Gelächter. Und in Israel haben sie anscheinend nicht alle Antworten für den Minister. …