Stockholm. Bei den schwedischen Parlamentswahlen am Sonntag gab es laut jüngsten Meinungsumfragen keinen klaren Sieg. Das linke Lager um die Sozialdemokraten von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und einen rechtskonservativen Block einschließlich der rechtspopulistischen Schwedendemokraten wurde nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Die Lage sei “sehr, sehr ausgeglichen”, sagte Andersson am Sonntag bei der Abstimmung im Stockholmer Vorort Naka. Andersson (55) bekräftigte ihre Opposition zu den Schwedendemokraten. Sie sei sehr enttäuscht, dass andere Parteien dies anders entschieden hätten, sagte sie mit Blick auf den konservativen Oppositionsführer Ulf Kristersson.
Großes Bandenkriminalitätsproblem
Fast 7,8 Millionen Menschen waren wahlberechtigt. Die Sozialdemokraten haben nur 100 Abgeordnete im Reichstag (349 Abgeordnete) und werden gelegentlich von 75 Abgeordneten aus linken und linksliberalen Parteien wie den Grünen und der Zentrumspartei unterstützt. Die Mitte-Rechts-Opposition (174 Sitze) besteht hauptsächlich aus der Koalitionspartei der Moderaten (70 Sitze) und den nationalistischen Schwedendemokraten (61 Sitze). Wie schon nach den Wahlen 2018 dürfte die Regierungsbildung langwierig und kompliziert sein. Die prominentesten Themen im Wahlkampf waren explodierende Energiepreise und grassierende Bandenkriminalität, hauptsächlich von Einwanderern. Letzteres zeigt sich seit langem in oft tödlichen Schießereien und Bombenanschlägen. In keinem anderen Land Europas habe sich eine Situation wie in Schweden entwickelt, sagte der Vorsitzende der gemäßigten Partei, Ulf Kristersson. Sogar Ministerpräsident Andersson musste zugeben: “Es ist eine schwedische Epidemie.”
Übermäßige Toleranz
Die lange Tradition der uneingeschränkten Aufnahme von Flüchtlingen und Einwanderern, die extreme Toleranz und die von politischer Korrektheit motivierte Tatsache, dass Behörden und Medien die Augen vor Problemen mit Einwanderern, beispielsweise aus dem Nahen Osten und Afrika, verschließen, ist jetzt schwer kritisiert. Man sei sehr naiv gewesen, heißt es sogar von Sozialarbeitern mit Migrationshintergrund. Dass sich ein seit langem neutrales Land wie Finnland nach dem russischen Angriff auf die Ukraine für den NATO-Beitritt entschied, war kaum ein Wahlkampfthema. Hier hat das linke politische Spektrum alte Forderungen von rechts übernommen. Das Thema Klimawandel spielte fast keine Rolle, von Klimaaktivistin Greta Thunberg (19) war wenig zu hören. Andersson war Ende 2021 als Nachfolgerin ihres Parteikollegen Stefan Löfven und der ersten Frau zur Premierministerin gewählt worden. Es gilt als realistisch und zuverlässig. Die Gemäßigten könnten erstmals von den Schwedendemokraten als zweitstärkste Kraft abgelöst werden. (APA/DPA/red.) (“Die Presse”, Printausgabe, 12. September 2022)