Niemand hat mit diesem Gewinner gerechnet
Stand: 10.09.2022| Lesezeit: 3 Minuten
Die amerikanische Regisseurin Laura Poitras nimmt den Goldenen Löwen für den besten Film für All the Beauty and the Bloodshed entgegen
Sie: dpa / Domenico Stinellis Es war eine weitere enttäuschende Preisverleihungsnacht für Netflix. Die Filmbiennale von Venedig, das Festival, das dem Streamer seine Pforten weiter öffnet, ging im Wettbewerb komplett an den Netflix-Produktionen vorbei: Nichts für den Eröffnungsfilm „White Noise“, nichts für „Bardo“, den großen Film des mexikanischen Regisseurs Alejandro González. Iñárritu, nichts über die lang erwartete Monroe-Biografie “Blonde”, nichts über Romain Gavras’ französisches Bürgerkriegsdrama “Athena”. Unerwartet ging der Goldene Löwe an „All the Beauty and the Bloodshed“, eine Mischung aus Künstlerporträt und Aktivistenfilm (falls es einen solchen Begriff gibt). Laura Poitras – die bereits Filme über Edward Snowden („Citizenfour“) und Julian Assange („Risk“) drehte – verbindet ein Karriereprofil der Fotografin Nan Goldin mit der Dokumentation ihres Kampfes gegen die Pharmafamilie Sackler, deren Medikament Oxycodon milliardenschwer ist Schuld an der Opioidkrise in den USA. Lesen Sie auch Wie Bones und alle anderen nahm Alice Diops Saint Omer zwei Auszeichnungen mit nach Hause. Wie ihre Namensvetterin Mati Diop (Grand Prix für „Atlantics“ in Cannes) stammt Diop aus der Diop-Großfamilie im Senegal, sowohl Mati als auch Alice sind in Frankreich geboren und aufgewachsen. „Saint Omer“ handelt von einem wahren Fall von Kindsmord, als die Mutter ihr Baby bei Flut an einem Strand zurückließ. „Saint Omer“ wird aus der Sicht eines Schriftstellers erzählt, der bei der Verhandlung anwesend ist. Diops Film gewann auch den Best First Feature Award. Der Sonderpreis der Jury ging an No Bears, den neuesten Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der seit zwölf Jahren unter dem Schatten einer sechsjährigen Haftstrafe wegen „Aufruhr“ steht und seither trotz Mitarbeiterverbot fünf Filme gedreht hat. Die Hauptfigur – gespielt von Panahi selbst – reist in ein einsames Grenzdorf, um die Dreharbeiten zu einem Film zu leiten, der jenseits der Grenze in der Türkei gedreht wird. „No Bears“ endete, als Panahi im Juli verhaftet wurde, um seine lange Haftstrafe anzutreten.
Kōji Fukadas „Love Life“ bekommt die kalte Schulter – zu Unrecht
Ebenfalls zwei Preise erhielt Venedig von The Banshees of Inisherin, dem neuen Film von Martin McDonagh, Regisseur von Three Billboards Outside Ebbing, Missouri. “Banshees” ist, wie “Billboards”, eine schwarze Komödie: Es geht um zwei Freunde auf einer kleinen Insel in Irland, von denen einer aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen die Freundschaft abrupt beendet. Sowohl Brendan Gleeson als auch Colin Farrell sind großartig, aber der Schauspielerpreis ging nur an Farrell (und das beste Drehbuch an McDonagh). Als beste Hauptdarstellerin wurde Cate Blanchett ausgezeichnet, die in „Tár“ die (fiktive) erste Dirigentin der Berliner Philharmoniker (doppelt von den Dresdnerinnen) spielte. Selten war eine Schauspielerin in einem so gescheiterten Film so gut. Selten hat sich eine Jury einem Film mit so vielen Verdiensten zugewandt wie dem japanischen Drama Love Life von Julianne Moore von Kōji Fukada. Als dramatisches Beziehungsdreieck erzählt es mit großer Sanftheit und hoher emotionaler Wirkung die verheerenden Folgen, wenn Menschen von ihrem geliebten Menschen für einen anderen verlassen werden.