Von Kevin Schulte 10.09.2022, 18:27

Seit Monaten fordert die Ukraine Lieferungen von Kampfpanzern, um den Krieg gegen Russland zu gewinnen. Doch der Westen zögert, ebenso die Bundesregierung. Panzer wären für die Ukraine zu diesem Zeitpunkt wichtig, damit ein großangelegter Gegenangriff erfolgreich sein könnte, sagen Militärexperten. Waren es zunächst Helme und Schutzausrüstung, liefert Deutschland der Ukraine jetzt Flugabwehrpanzer, Mehrfachraketenwerfer und Panzerhaubitzen. Der nächste Schritt sollen Kampfpanzer sein, fordert die Regierung in Kiew. Der ukrainische Ministerpräsident Denis Schmyhal reiste Ende vergangener Woche nach Deutschland, um von Bundeskanzler Olaf Solz eine Kampfpanzerzusage entgegenzunehmen. Aber er tat nichts. Kiew bekommt vorerst kein “Frettchen” oder “Leoparden” für das Spiel gegen Russland. „Das ist die Essenz aller bisherigen Waffenlieferungen. Außer alten sowjetischen Panzern wurde nichts geliefert. Über Lieferungen westlicher Panzer in die Ukraine ist mir nichts bekannt Sicherheitsexperte Joachim Weber von der Universität Bonn kritisierte im ntv-Podcast „Ich habe wieder was gelernt“. Gerade in der jetzigen Kriegsphase wären westliche Lieferungen von Kampfpanzern sinnvoll. Kiews Truppen sind dabei, Gebiete zurückzuerobern, vor allem im Süden des Landes. Mit moderner Ausrüstung wären Konter erfolgversprechender. Und westliche Panzer sind auch langlebiger: Treffen Panzergrenadiere ein sowjetisches Modell, brennt der Panzer und die Soldaten sind meist tot.

Deutsche Panzer robuster als sowjetische

Wer in modernen Panzern sitzt, ist besser geschützt und überlebt einen direkten Treffer russischer Artillerie eher, erklärt Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign Relations, im Gespräch mit ntv. „Trifft man einen sowjetischen Kampfpanzer oder einen gepanzerten Mannschaftstransporter, verbrennen diese meist mit der gesamten Besatzung. Schlagkräftige deutsche Panzer könnten einen großen Unterschied machen, sagt Gressel, denn der „Fähigkeitserhalt“, wenn die Besatzung einen Volltreffer übersteht, sei für den weiteren Kriegsverlauf enorm wichtig. Schließlich sei die Ausbildung einer Panzerbesatzung “eigentlich viel schwieriger als die Anschaffung eines neuen Kampfpanzers”, betont Gressel. Zu Beginn des Krieges hatte Deutschland die Ukraine überhaupt nicht mit schweren Waffen versorgt. Ein beliebtes Argument zu Beginn des Krieges war, dass die Ukrainer überhaupt nicht in der Lage sein sollten, mit westlichem Militärgerät umzugehen. Sie müssen nur entsprechend trainiert werden und das dauert gar nicht so lange, macht Gustav Gressel auf ntv deutlich. „Man muss die Mannschaften, die die Maschine fahren, sowie die Ingenieure und das Logistikpersonal schulen, damit sie die Maschine warten und verschlissene Teile austauschen können.“ Das Training dauert eine gewisse Zeit, aber “nicht so grausam, wie es oft in der Öffentlichkeit dargestellt wird”, sagt Gressel. „Die Leute fangen nicht bei Null an. Sie müssen die Panzerkriegsführung nicht von Grund auf lernen, sie müssen speziell für ‚Leopard 2‘ trainieren.

Dritter Weltkrieg? “Wird nicht kommen”

Andere Argumente gegen Lieferungen von Kampfpanzern sind, dass Russland Lieferungen schwerer Waffen als Vorwand benutzen könnte, um den Krieg weiter eskalieren zu lassen. Andererseits kann die NATO direkt in den Krieg hineingezogen werden. Aber die Bedenken seien völkerrechtlich unbegründet, sagt Gustav Gressel. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie Pistolen, Granaten oder Panzer liefern. Solange die NATO nicht aktiv an den Kämpfen beteiligt ist, gelten Waffenlieferungen nicht als Kriegseintritt. “Deutschland hat bereits schwere Waffen abgeliefert, und einen dritten Weltkrieg haben wir entgegen allen Rufen nicht. Und das wird es auch nicht”, sagt Greschel und macht deutlich, dass die Bundesregierung einlenkt, wenn es darum geht zu schweren Waffen. Im April kehrte Berlin das Problem um. Auch weil damals andere westliche Länder längst Material abgegeben hatten, allen voran die USA. In der Zwischenzeit schickte Deutschland der Ukraine 15 Gepard-Flugabwehrpanzer, 10 2000-Haubitzen mit Eigenantrieb, 3 Mehrfachraketenwerfer und 3 gepanzerte Bergungsfahrzeuge. “ Deutschland will der Ukraine den Wunsch nach Panzern nicht erfüllen, obwohl “die Panzerhaubitze 2000 zum Beispiel ein viel moderneres System ist als zum Beispiel der ‘Leopard 2’ in der A4-Variante”, erklärt Gressel im Interview auf ntv. „Mehrfachraketenwerfer sind auch eine sehr moderne und große Waffe. Sie können bis zu 80 Kilometer weit schießen, ein Kampfpanzer feuert nur auf Sicht, also nur wenige Kilometer.“ Bisher hat kein Nato-Land Panzer geliefert, auch weil man die eigene Verteidigungsfähigkeit nicht gefährden will. Für die Bundeswehr gilt das auch, sagt Brigadegeneral Christian Freuding, Leiter des Lagezentrums Ukraine im Bundesministerium der Verteidigung, gegenüber ntv. „Wir haben nicht die sogenannte Vollausrüstung. Wir können die Einheiten, die wir jetzt in unserer Struktur geschaffen haben, nicht mit den notwendigen Waffensystemen ausstatten. Wir müssen sicherstellen, dass wir unsere NATO-Verpflichtungen erfüllen, ausbilden und ausüben können.“

„Angst vor der Macht der Bilder“

Gustav Gressel hält diese Argumente für begründet. In Deutschland gibt es noch einige Panzer des älteren Typs „Leopard 2A4“, die an die Ukraine abgegeben werden könnten. Auch andere europäische Länder hätten “eine kritische Masse von ‘Leopard 2’ übrig”, sagt der Militärexperte. „Das ist das Schöne an der ‚Leopard‘, sie ist über ganz Europa verbreitet. Wenn alle oder zumindest die meisten europäischen Länder einen kleinen Vorrat an Panzern zur Verfügung stellen, kann das einen Unterschied machen“, ist Militärexperte Gressel überzeugt. Spanien hat der Ukraine kürzlich den in Deutschland hergestellten Leopard 2A4 angeboten. Deutschland müsste einer Kapitulation zustimmen, hat dies aber noch nicht getan. Auch das Bundeskanzleramt blockiert ein mögliches Direktabkommen zwischen der Ukraine und der deutschen Rüstungsindustrie. Der Panzerhersteller Krauss-Maffei Wegmann (KMW) wird in Kiew „Leopard“-Panzer verkaufen: 100 „Leopard 2A7“, das neueste Modell, für etwas mehr als 1,5 Milliarden Euro. Das würde den ukrainischen Truppen in der aktuellen Situation nicht helfen, denn die ersten Modelle könnten erst in drei Jahren ausgeliefert werden. Allerdings ist Krauss-Maffei Wegmann nicht vom Bund lizenziert. „Die Leute haben Angst vor der Macht der Bilder, sie wollen keine Bilder von deutschen Panzern, die wieder im Osten stehen und dort einen aggressiven Vorstoß machen“, glaubt Sicherheitsexperte Weber im Podcast. “Wir sollten solche Bilder weniger fürchten als die Folgen für die Geschichte, wenn Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine erfolgreich ist.” Podcast “Ich habe wieder etwas gelernt”. „Learned again“ ist ein Podcast für Neugierige: Warum sollte der Waffenstillstand für Wladimir Putin nur eine Pause sein? Warum hat die NATO Angst vor der Suwalki-Lücke? Warum hat Russland wieder iPhones? Welche kleinen Verhaltensänderungen können 15 Prozent Energie einsparen? Hör zu und werde dreimal pro Woche ein bisschen schlauer.