Der Protest war zwecklos: Die Nagra entschied sich für den Standort Nördlich Lägern. Thomas Müller, Dana Liechti Jura Ost (Bözberg, AG), Nördlich Lägern (AG/ZH) oder Zürich Nordost (Weinland, ZH/TG). Eigentlich soll der Entscheid über das Schweizer Endlager erst am Montag fallen. Doch die Liegenschaftseigentümer wurden bereits am Samstag informiert: Gemäss «Tages-Anzeiger» wird auf dem Areal «Nördlich Lägern» Schweizer Atommüll vergraben. Das bestätigte ein Vertreter des Bundesamtes für Energie gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Brisant ist, dass Nörd Lägern 2015 von der Nagra als Standort ausgeschlossen wurde, weil dort das Lager nicht gebaut werden konnte. Diese Einschätzung wurde später durch ein externes Gutachten widerlegt und Nördlich Lägern wurde erneut ausgewählt. Die Entscheidung ist umstritten: Schließlich handelt es sich um einen Ort, der Hunderttausende von Jahren bestehen wird. So diskutiert die Schweiz seit mehr als 50 Jahren, wo Atommüll seine letzte Ruhestätte finden soll. Zuständig für den Entscheid ist die Nationale Genossenschaft für die Entsorgung radioaktiver Abfälle (Nagra). Zu diesem Zweck wurde sie 1972 – vor genau 50 Jahren – gegründet. Drei Standorte könnte es treffen: Nun soll es „Nördlich Lägern“ heißen.

Die Betroffenen äußern Schock

Betroffene aus der Umgebung haben im «Tages-Anzeiger» ihre Bestürzung über den Nagra-Entscheid ausgedrückt. Ramona Keller, Bäuerin aus der Gemeinde Stadel ZH, sagte bereits Mitte Woche: Sie und ihre Familie werden ihren Hof wohl verlassen müssen – denn in unmittelbarer Nähe sollen die Oberflächenanlagen für das Lager entstehen. “Wir können nicht mit einem tiefen Lager im Garten leben.” Nun stellt sich die Frage der Entschädigung. Baubeginn ist zwar erst in rund zehn Jahren – bis dahin muss der Bundesrat zustimmen und es könnte eine Volksabstimmung stattfinden – aber der Wert der Liegenschaft wird laut der Zeitung bereits massiv verlieren. «So vieles ist unklar», sagt Grünen-Zürich-Kantonsrätin Wilma Willi, die auch ein Haus in der Nähe besitzt. „Ein unvorstellbar großes Stück fällt uns jetzt zu Füßen. Die Schweiz darf uns damit nicht allein lassen», sagt er. Ganz in der Nähe von Kellers Hof, an einem gemieteten Ort direkt an der Hauptstrasse und umgeben von Feldern, feiert David Markovic aus Bülach heute Samstag in einem gemieteten Ort seinen 18. Geburtstag. Der junge Mann will sich die Party von der Entscheidung nicht verderben lassen. Und dennoch: «Ich finde es nicht gut, hier in der Gegend Atommüll zu deponieren», sagt er zu Blick. „Ich mache mir Sorgen, dass etwas passiert, dass das Endlager unserer Gesundheit schaden könnte.“ Auch sein Vater Nikola Markovic ist nicht begeistert: „Ich möchte kein Atomlager in unserer Nähe – schon wegen meiner drei Kinder“, sagt er. Aber Sie sollten es wahrscheinlich akzeptieren: “Entscheider machen sowieso, was sie wollen.” Andere im Dorf Stadel sind pragmatisch: „Irgendwo muss das Endlager hin“, sagt Einwohnerin Jolanda Eberle. Sie haben allgemeinere Bedenken zur Atomkraft. Sicherheitsbedenken habe er keine, sagt Marco Plüss derweil. “Natürlich ist es nicht so schön, hier Atommüll zu deponieren”, sagt er, “aber ich akzeptiere die Entscheidung.”

Es gibt noch keine Norm

Es gibt noch keine Modelle für die Lagerung von Atommüll, der noch Jahrtausende lang äußerst gefährlich bleiben wird. Obwohl viele Länder ein Endlager tief unter der Erde bauen, ist noch keines in Betrieb. Blick beantwortet die wichtigsten Repositoriumsfragen.

Warum wird ein tiefes Repository benötigt?

Atommüll entsteht bei der Stromerzeugung in Kernkraftwerken (Kernkraftwerken), aber auch in Medizin, Forschung und Industrie. Hochradioaktive Abfälle sollten nicht auf der Erdoberfläche gelagert werden, weil niemand weiß, wie sich die Gesellschaft und die Erdoberfläche in den nächsten Jahrtausenden verändern werden, insbesondere in Bezug auf Kriege oder die globale Erwärmung. Die sicherste Lösung ist die Lagerung in mehreren hundert Metern Tiefe. In der Schweiz eignen sich besonders Gesteinsschichten aus dem sogenannten Opalinuston – einem grauschwarzen Schiefer.

Was genau soll im Boden gelagert werden?

Vor allem hochradioaktive Brennelemente aus Kernkraftwerken müssen gelagert werden. Hinzu kommen schwach- und mittelradioaktive Abfälle wie kontaminierte Schutzkleidung, Rohre und Isoliermaterialien aus Kernkraftwerken sowie Abfälle aus Forschung, Medizin und Industrie. Die Bundesregierung rechnet damit, dass bis 2075 etwa 90.000 Kubikmeter Abfall anfallen werden. Das entspricht etwa 750.000 Badewannen.

Wie gefährlich ist der Abfall?

Diese Abfälle stellen eine unmittelbare Bedrohung für Mensch und Umwelt dar und werden dies noch für Zehntausende von Jahren tun. Schon kleinste Mengen Atommüll sind krebserregend und schädigen das Erbgut.

Wie lange soll das Lager in Betrieb sein?

Ein Tiefenlager muss den Abfall für Zehntausende bis Hunderttausende von Jahren sicher zurückhalten, bis er unschädlich zerfällt. Plutonium-239 beispielsweise, das unter anderem zur Herstellung von Atomwaffen verwendet wird, braucht mehr als 24.000 Jahre, bis die Hälfte seiner radioaktiven Atomkerne zerfallen ist (Halbwertszeit).

Wo wird jetzt Atommüll gelagert?

Der bisher angefallene Atommüll befindet sich noch in Räumen an der Erdoberfläche – in den Kernkraftwerken selbst und in zwei Zwischenlagern im Kanton Aargau.

Warum nicht auf neue Technologien warten?

Durch sogenannte Transmutation, auch Kernumwandlung genannt, könnten langlebige Radionuklide theoretisch in kurzlebige umgewandelt werden. Statt mehrere Zehntausend Jahre würde mancher Abfall „nur“ mehrere hundert Jahre strahlen. Laut dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) ist dies jedoch (noch) kein realistisches Szenario. Und selbst wenn die Transmutation eines Tages im großen Stil stattfinden würde, gäbe es immer noch langlebige Abfälle, die tief gelagert werden müssten.

Was machen andere Länder mit ihrem Atommüll?

Rund 60’000 Tonnen hochaktive Abfälle aus Kernkraftwerken werden derzeit in Europa gelagert, meist – wie in der Schweiz – in oberirdischen Anlagen. Bis heute gibt es weltweit kein einziges Endlager für hochradioaktive Abfälle, das in Betrieb ist. Finnland ist weiter weg: Auf der Insel Olkiluoto entsteht ein Endlager in bis zu 500 Metern Tiefe. Die Speicherung soll 2024 oder 2025 beginnen. Schweden und Frankreich haben endgültige Standorte identifiziert.

Was passiert nach der Standortentscheidung?

Die Diskussionen werden fortgesetzt. Umstritten ist beispielsweise, wo die “Heiße Zelle” gebaut werden soll. Dies ist das roboterbetriebene Verpackungssystem für Brennstoffzellen. Der Regierungsrat von Zürich hat bereits erklärt, dass er sich entschieden gegen die “Heiße Zelle” wehren wird. «Im Sinne einer angemessenen Lastenteilung» soll dieser Bau woanders hingehen, auch wenn das Endlager im Kanton Zürich gebaut werden soll.

Aber ist der Standort jetzt stabil?

Nicht genau. Die Nagra reicht ihr Gesuch zunächst gegen Ende 2024 bei den Bundesbehörden ein. Der Bundesrat wird voraussichtlich erst 2029 definitiv über den Standort entscheiden. Danach muss das Bundesparlament dem Lager noch zustimmen. Es ist damit zu rechnen, dass es danach eine Volksabstimmung geben wird. Der Baubeginn ist für 2045 vorgesehen. Gemäss Nagra-Konzept könnten die ersten Abfälle um das Jahr 2050 eingelagert werden. Danach folgt eine «Beobachtungsphase» von voraussichtlich 50 Jahren. 2115 soll das Lager geschlossen werden.

Kann die betroffene Bevölkerung die Entscheidung anfechten?

nein Die Entscheidung ist endgültig. Es sind jedoch weitere Schritte erforderlich, bevor das Repository erstellt werden kann. Beispielsweise kann die Bevölkerung Einwände gegen die Rahmenbewilligung erheben und damit das Projekt verzögern. (SDA)