Stand: 09.09.2022 18:30 Uhr                 

Die Haushaltswoche im Bundestag gab einen Vorgeschmack auf die Schwierigkeiten, die dem Land bevorstehen. Drei Punkte stachen in der Diskussion besonders hervor. Kommentar von Martin Polansky, Hauptstadtstudio ARD

Nach der Wirtschaftskrise, der Flüchtlingskrise und der Pandemie gilt es nun, sich auf eine große Krise vorzubereiten, die das Land voraussichtlich noch stärker erschüttern wird als die bisherigen Belastungsproben der Gesellschaft. Und die Geschäftsjahreswoche machte die durchwachsene Situation deutlicher. Mit Licht und Schatten. RBB-Logo Martin Polansky ARD-Hauptstadtstudio

Scholz-Aktien

Erstens: Bundeskanzler Olaf Solz steht unter Druck – doch dadurch läuft er unerwartet rhetorisch zur Höchstform auf. Seine Rede in der Generaldebatte hat die SPD-Fraktion buchstäblich von den Stühlen gehauen. Und das sah nicht so aus, als würde gespielt, aber es war fast eine Erleichterung. Scholz ging auf Oppositionsführer Friedrich Merz ein und machte deutlich, dass seine Ampelregierung glaubt, das Land erfolgreich durch die Krise führen zu können.

Das dreigliedrige Bündnis hat viele offensichtliche Risse. Aber nach dieser Woche wirkt die Ampel generell geschlossener, da sie die Differenzen nicht vertieft, sondern eher überdeckt hat. Und dass der vermeintliche Überflieger Robert Habeck zuletzt deutlich an Höhe verloren hat, dürfte dem Koalitionsgefüge wohl gut tun.

Union als unerbittliche Opposition

Zweitens: Friedrich Merz ist ein ebenbürtiger Gegner. Sein Schlagabtausch mit Soltz war ein Moment des Parlamentarismus, der die schwierigen Zeiten rechtfertigte. Mertz und die Union werden ihrer Rolle als führende Oppositionskraft gerecht, indem sie die Fehler der Regierung schonungslos benennen, ohne in Kleinlichkeit und Populismus abzugleiten. Seien es die Kritik an der faulen Gasabgabe, die Pläne, Habecks Atombetrieb mitten in der Energiekrise stillzulegen, und einige vereinzelte Folgen des dritten Hilfspakets.

Deutlich wird aber auch, dass CDU und CSU in ihrem grundsätzlichen Kurs gegenüber Russland und der Ukraine weitgehend mit der Bundesregierung übereinstimmen. Auch wenn die Union glaubt, das Land besser durch die Krise führen zu können.

AfD und Linkspartei wollen an die Unzufriedenen appellieren

Drittens: AfD und Linke bereiten sich auf einen heißen Herbst vor. Sie räumten ein, dass die Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung wachse – wegen der hohen Inflation, der Sorge vor riesigen Anzahlungen und des Unverständnisses dafür, dass Deutschland die Ukraine überhaupt unterstütze.

Es ist gut, dass sich diese Stimmung auch im Parlament widerspiegelt. Denn es ist nicht Bürgerpflicht, auf Wohlstand für die Ukraine und die Sicherheit des Westens verzichten zu wollen. Allerdings müssen sich AfD und Linke fragen, wie sie mit der Unzufriedenheit umgehen wollen. Entweder durch konstruktive Debatten oder Hit-and-Run-Populismus.

Bei der AfD muss man davon ausgehen, dass sie ohnehin ein radikal anderes Land will und deshalb versuchen wird, den Protest zu ihren Gunsten zu lenken. Die Linke scheint noch nicht klar zu sein, wie sie langfristig mit Russland umgehen will. Dass die Partei die rhetorisch starke, aber eher kremlfreundliche Sahra Wagenknecht als Hauptrednerin hatte, lässt allerdings erahnen, wo es hingehen könnte.

Auf jeden Fall stehen schwierige Monate bevor, eine Herausforderung für die demokratische Gesellschaft. Der Bundestag ist in dieser Woche seiner Aufgabe als zentrales Diskussionsforum nachgekommen. Kommentar von Martin Polansky, Hauptstadtstudio ARD Redaktionelle Anmerkung Kommentare geben immer die Meinung des jeweiligen Autors und nicht der Redaktion wieder.

Kommentar: Haushaltswoche – ein starkes Parlament in schwierigen Zeiten

Martin Polansky, ARD Berlin, 9.9.2022 17:27